Beethoven, piep - piep



Auf der Piazza della Signoria, Florenz

Auf der Piazza della Signoria, dem Rathausplatz von Florenz, findet zum Ende des Maggio Musicale, an einem heißen Juliabend, ein Open Air Konzert statt: Musik von Schönberg und als Krönung des Abends: Beethovens „Neunte Sinfonie“, dargebracht vom Orchester „Maggio Musicale“, in diesem Jahr ist das das Sinfonieorchester von Prag unter der Leitung von Zubin Mehta.

Der Platz ist gedrängt voll, schon auf dem Weg von der Bushaltestelle des Bus Nr. 7 an der Via Cavour zur Piazza della Signoria schallen laut die Trompeten und Posaunen. Trotz der brütenden Hitze drängen die Menschen zum Zentrum der Stadt. Durch die Via dei Calzaioli ist kein Durchkommen, aber durch die Via dei Cerchi findet sich ein Schlupfloch um ein Plätzchen auf dem vollen Platz zu ergattern. Direkt an der Bankzweigstelle „Banca d’America e d’Italia“ können wir stehen. Florentine und Caroline, die Töchterleins 15 und 12 Jahre alt, sitzen auf dem Bordstein. Vor der Loggia dei Lanzi ist die Bühne aufgebaut: das große Orchester, die Vielzahl der Chorsänger in festlicher Kleidung, der Maestro mit gewaltigen, ausholenden Bewegungen im gleißenden Scheinwerferlicht.

„Da,da,da, damm“ ...., die Musik Beethovens füllt den Platz.

An die Wand des Bankgebäudes gedrückt, rollen die Schallwellen auf die Zuhörer zu. Beeindruckende Wucht der Musik Beethovens, dann wieder ruhige, weichere Töne.

An der Außenseite des Geldinstituts führt ein Bankautomat sein eigenes Leben, alle paar Minuten werden, obwohl nicht benutzt, Computervorgänge hörbar. Auch öffnet und schließt sich das Sichtfenster vor den Computertasten ohne jegliches Zutun, um Menschen zu Bankgeschäften zu animieren.

Herrlicher langsamer Satz, die Querflöten schmeicheln, eine romantische Stimmung, der schlanke hohe Turm der Signoria, das milde Licht aus den Uffizien - da kommt schon der erste, den die Musik nicht interessiert, sondern der Geld braucht. Er schiebt sich durch die Zuhörer, führt die Scheckkarte in den Bankautomaten und: piep .. piep .. piep, laut quäkend werden die Buchungsvorgänge abgewickelt.

Beethovens Musik hebt gerade zum Crescendo an, und wieder: piep... piep..., der gewünschte Betrag wird ausgespuckt, ... ein leichtes Blättern der Scheine, ... Pauken, Trompeten, drrr.., drrr, drrr, der Drucker beschreibt den Quittungsstreifen, ... leise Geigenmusik, .... dsss, dsss, dsss, der Quittungsausdruck schiebt sich aus dem Schlitz, dsch, dsch, dsch, die Frontscheibe schließt sich wieder. Ruhe! Der Geldabholer verschwindet in der Menge.

“O, Freunde....“, die gewaltigen Stimmen füllen den Platz, der Rathausturm, natrium-gelb beleuchtet, die Sterne funkeln, das Herz geht uns über, Tränen der Rührung und Überwältigung vor soviel Klasse und Schönheit drücken sich verschwiegen in die Augen.

Da..., eine füllige Blondine, wohl aus Schweden, zückt schon die Kreditkarte und steuert, den weißen Arm mit der Karte vorausrichtend, den Automaten an,

der Chor hebt an, „F r e u d e schöner Götterfunken, Tochter aus ... “ piep, piep, piep, der Apparat erfüllt seinen Job......

Die letzten Töne erschallen, dann eine Sekunde Ruhe, und eine Welle des Applauses durchläuft den Platz, die Echowellen branden an das im Renaissancestil erbaute Gebäude der Generali Versicherung.

Jetzt verteilen sich die Massen in die dunklen mittelalterlichen Gassen. Noch schnell irgendwo ein Eis, dann geschwind zum Bus Nr. 7 nach Fiesole; hoffentlich fährt er zu dieser späten Stunde noch. Florentine und Caroline sind müde. Nach langem Warten an der Piazza San Marco kommt er endlich um die Ecke gebogen.

Firenze
1997