Texte


Der Schwarze Mann
Gesehen auf einer Wanderung vom Kölner Dom bis nach Bonn
April 2002



HGE ist gerne ein Langstreckengeher. Von der Rokoko-Schlossanlage in Düsseldorf-Benrath zu den Heiligen Drei Königen im Kölner Dom, das ist so ein Spaziergang am Rhein entlang, der HGE gefällt. Vom Rheinstromkilometer 721 bis 689. Jetzt ging’s weiter vom Kölner Dom zur Geburtstadt von Ludwig van Beethoven, nach Bonn also.

Von Rheinstromkilometer 689 bis Bonn 655. Ganz schön weit. HGE hat so sieben Stunden gebraucht.

Hinter der Rodenkirchner Riviera, dem Rheinbadestrand der Kölner, wunderbar vor den großbürgerlichen Häuserfassaden gelegen und dem sanften, großzügigen und grünen Hang der weiten Spielwiese davor, laden Strände mit feinem Sand zum Aufenthalt ein. Im Strom liegen alte Kähne zu Gaststätten ausgebaut.

Der Rheinstrom, hier am Gleithang, ist sanft. Kribben halten die starke Strömung ab. Das Wasser ist klar, hell und frisch. Die Schneeschmelze des Frühlings hat das Wasser in den Alpen auf die Reise geschickt.

Nun gleich hinter Rodenkirchen steht da so ein großer kräftiger Kerl am Rheinuferweg in einem Wäldchen. Ganz und gar in schwarz gekleidet, an einem gemauerten Siel, und kocht sich sein Essen. Das vollbepackte Fahrrad lehnt nebenbei. Das Gesicht stark gerötet vom tagelangen Sonnenschein. Die Sonne hat in diesem Jahr um Ostern herum zehn Tage lang ununterbrochen geschienen, während Mallorca und Teneriffa in Regenstürmen untergegangen waren.

Der Mann mit seinem für „Große Fahrt“ gepackten Fahrrad. Auffällig, wie akkurat das Fahrrad mit dem Gepäck beladen ist. Das Zelt, der Schlafsack, die Isomatte, alles ordentlich in schwarz kompakt verschnürt. Vorn eine Tasche, hinten zwei. Und alles in schöner Symmetrie.

Der Benzinkocher ist vom häufigen Gebrauch schwarz verkohlt. Das ist ein Mann, der schon seit Wochen auf Tour ist. Kam er vielleicht den langen Weg von Rotterdam, immer am Rhein entlang, über Xanten, Düsseldorf und Köln, und will ins ferne Basel? Wir haben doch jetzt einen schönen, gut ausgeschilderten Rheinuferradweg. In Benrath am Rhein kommen jedenfalls im Sommerhalbjahr täglich Langstreckenradfahrer mit viel Gepäck vorbei.

In Nordrhein Westfalen geht’s von Emmerich bis nach Bad Godesberg. In Benrath steht für die fremden Reisenden eine Informationssäule beim Rheinkilometer „721“. Auch mit dem Hinweis auf das hier am Rhein gelegene Rokokoschloss Benrath als touristisches Highlight.

Der Mann ist also am Kochen, HGE am Gehen. Man mustert sich, kurz. Jeder schätzt den anderen ein. HGE als „alter“ Pfadfinder erkennt an der Art wie das Fahrrad gepackt ist, den erfahrenen und kompetenten Reisenden.

HGE geht weiter Richtung Süden.

Da passiert HGE gerade das Hafengebiet von Wesseling, kommt doch der Schwarze Mann mit seinem Fahrrad von hinten angefahren und überholt HGE. Stellt sich trotz der anderen Besucher am Hafenbecken ins Gebüsch und uriniert. Ferkel! Kann doch tiefer ins Gestrüpp gehen! Ja, Wandern und mal Müssen, das ist ein Kapitel für sich. HGE ist stets ein wenig unruhig, da durch das Gehen der Organismus ordentlich in Schwung gebracht wird, so dass sich die Blase öfter meldet. Und vom Kölner Dom bis hinter Rodenkirchen mit dem ersten Waldstück ist eine verdammt weite Strecke, ohne WC. Nee, so aber rücksichtslos wie der Schwarze Mann sollte man nicht sein!

Bei Wesseling muss der riesige Komplex von Häfen und Chemieanlagen umgangen werden - bis man endlich in Alt-Wesseling wieder an den Rhein gelangt. Dieser Ort war vor dem Bau der Industrieanlagen bereits dort gelegen, daher gibt es noch eine hübsche kleine Promenade. Zwei Kinder schaukeln und singen dabei. Hinter dem Gebüsch tummeln sich Obdachlosen und grölen. „Die versaufen ihre Sozialhilfe“, sagt der ältere Herr zu seiner Frau und HGE.

HGE steht gerade an dem Hinweisschild auf den Rheinkilometer 670 und liest die Hinweise. Da kommt doch der Schwarze Mann wieder angeradelt und überholt HGE.

Hinter Alt-Wesseling weitet sich wieder eine riesige Industriezone, diesmal die der DEA Raffinerie. Doch glücklicherweise etwas abgelegen, hinter einem lichten Pappelwäldchen und Deich. Nur die dicken schwarzen Rohre führen aus der Anlage an den Rhein. Und dort mitten im Rhein gibt es eine neue, riesige Hafenanlage. Sie ist wie die Helling einer Werft gebaut. Die Tankschiffe fahren hinein wie bei einer an beiden Seiten offenen Garage.

Im Sporthafengebiet von Hersel, durch den Werth vom Strom getrennt, sitzen die Gemütlichen auf Ihren Sportbooten und tratschen, trinken Kaffee, der Waldi läuft kläffend auf dem Bootssteg hin und her.

„Wie lange dauert es mit dem Motorboot nach ....“, HGE versteht den Ort nicht. „Wenn Du schnell fährst dann eineinhalb Stunden und wenn du gemütlich fährst dann zweieinhalb Stunden“ ruft der eine aus seinem Boot. Der andere Bootsbesitzer lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Heute fahren wir nicht mehr, Hildegard“. Hildegard ist beruhigt, sie hat sowieso keine Lust irgendwo hinzufahren. Auf dem Strom schaukelt es, die vielen Frachtschiffe, und wo soll man am Abend anlegen?

Hinter dem Herseler Werth kann man die Bergspitzen des Siebengebirge zählen. Deutlich ist der Eckzahn, der Drachenfels mit dem Bergfried auszumachen.

Auf dem Fußballplatz von Grau bolzen die Jungen herum. Und wer kommt da hinter HGE angeradelt? der Schwarze Mann! Wo er wohl inzwischen gewesen war. Ein Bierchen trinken? Hatte er nicht vorhin eine grüne Dose Bier in der Hand?

Noch 5,8 Kilometer bis nach Bonn.

Gleich ein paar Schritte weiter, der Schwarze Mann hat das Fahrrad abgestellt, der verrußte Benzinkocher ist wieder in Funktion.

„Schon wieder Essen?“ fragt HGE unbekümmert. Das rote Gesicht des Mannes hellt sich auf: „Mann o Mann, Mann o Mann“ sagt der Schwarze Mann vollkommen überrascht HGE hier schon wieder zu sehen, ihm fehlen die Worte für die Überraschung, die er zum Ausdruck bringen will. HGE läuft wie eine Nähmaschine und überholt den Schwarzen Mann mit dessen Fahrrad erneut.

„Sie haben Ihr Fahrrad ja perfekt gepackt!“, ruft HGE noch im Weitergehen. HGE kann das aufgrund seiner langjährigen Pfadfinderzeit während der Schuljahre nun wirklich beurteilen.

Keine Antwort!

Rheinische Städte und Orte, die direkt am Rhein liegen, muss man von der Wasserseite her besuchen. Dann bekommt man den richtigen, rheinischen Eindruck. Wie ist es da am Rhein sooo schön! Die Wellen plätschern an das Ufer, die Kinder plantschen mit dem Dackel am Wasser herum, oben sitzen die Alten auf einer der vielen Bänke. Die uralten Häuser haben ihre Fenster und Balkone zum Strom. Von Wein umlaubte Terrassen laden ein. Drüben, am anderen Ufer, rauschen die Pappeln mit milden Wind. Die hellen Blattunterseiten blinken in der Sonne herüber.

In der weltoffenen Stadt Bonn tummelt sich allerlei Volk an der Uferpromenade. Doch der Schwarze Mann hat HGE bis hierher noch nicht wieder eingeholt. Er wollte doch heute noch bis Remagen.

Erst um 16 Uhr 58 geht der RegioExpress vom Bonner Hauptbahnhof direkt wieder zurück nach Düsseldorf-Benrath.

Düsseldorf
April 2002